ZAT 2018
Die jährliche Zentrale Arbeitstagung (ZAT) des BVTS richtet sich an die BVTS Mitglieder und weitere Multiplikator/innen, welche das Theater in der Schule strukturell und inhaltlich weiterentwickeln möchte. Damit befördert sie den Verbandsdiskurs zu aktuellen Themen. Sie wird in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Spiel und Theater e. V. durchgeführt.
Theater - Performance - Demokratiebildung
ZAT 2018
„Wer von uns darf trösten?“ (Nelly Sachs)
von Simone Boles, Vorstandsmitglied des BVTS
Die erste trübtrostlose Novemberkälte erfasst die Teilnehmer*innen der Eröffnungs-Performance. Etwa 120 Theaterschaf- fende aus schulischen, außerschulischen und universitären Bildungskontexten begeben sich auf eine Tour durch das Grindelviertel. Sie sind zur Zentralen Arbeitstagung (ZAT) 2018 des Bundesverbandes Theater in Schulen (BVTS) vom 23.- 25. November aus dem gesamten Bundesgebiet nach Hamburg gereist, um sich drei Tage lang mit den komplexen Wechselbeziehungen zwischen Theater, Performance und Demokratiebildung zu beschäftigen. Professionell konzipiert, organisiert und geleitet von Gunter Mieruch (BVTS), Wolfgang Sting (Uni HH – Fakultät für Erziehungswissenschaft), Tonio Kempf und Bernd Ruffer (Fachverband Theater in Schulen Hamburg).
Einige zentrale Thesen und Impulsfragen der Tagung gilt es in Workshops, Vorträgen, Tischgesprächen, Projektberichten, Forschungsansätzen und Performances zu erforschen, die an das Thema des Festivals Schultheater der Länder 2018 in Kiel „Theater und Politik“ anknüpfen:
• Schulische Theater- und Performance-Aktionen besitzen demokratisches Potenzial.
• Aufgrund der Krisenphänomene der Demokratien in Amerika und Europa wird das Bildungssystem - und wir als Teilnehmer*innen dieses Systems - vor neue Herausforderungen gestellt.
• Neben fundiertem Fachwissen (Sach-Kompetenz) bedarf es der Motivation und Handlungsfähigkeit (Selbst- und Methodenkompetenz), sich in der Gruppe aktiv für das Gemeinwohl der Demokratie zu engagieren (Sozialkompetenz).
• Grundlagen der Demokratiebildung müssen in formalen und non-formalen Bildungsprozessen gelegt werden.
• Der Begriff „Performance“ ist per definitionem ebenso wie der Begriff der „Postmoderne“ (vgl. Welsch, Wolfgang: Unsere postmoderne Moderne.) von Widersprüchlichkeit, Ambiguität und Deutungsvielfalt geprägt.
• Das demokratische Potenzial von Theater und Performance liegt im sozialen und partizipativen Moment, falls die ästhetischen Formate politisch konnotiert sind.
Doch spulen wir zurück zum Anfang
„Als wir nicht mehr deutsch sein durften - Auf den Spuren jüdischen Lebens im Grindelviertel“ - so der Titel der Eröffnungsperformance.
Die Tourteilnehmer*innen werden in 4er-Gruppen eingeteilt und bekommen zwei Guides, SuS eines 9. Jahrganges, an die Hand, die sie von Station zu Station begleiten, betreuen und belehren. Die Stationen werden von den SuS der Profilklasse „Raumideen“ des 10. Jahrganges gestaltet. Alle SuS besuchen die Stadtteilschule Hamburg-Bergedorf.
Schwarze Overalls eilen über den Joseph-Carlebach-Platz, verharren, laufen Sterne, formieren Diagonalen und Blöcke. Rhythmisch-statische Bewegungsabfolgen hallen in der Reihung und werden von zwei kleinen, bezopften Mädchen mit Puppenwagen kopiert. Das muss Zufall sein. Die Zuschauer*innen werden zu Performer*innen. Das ist kein Zufall.
Eine Schwarzgestalt blickt mir intensiv in die Augen: „Wie findest du mich?“ Will ich der Performerin mit schwarzem Stift auf das Gesicht malen? An einem Ort, an dem einst die Borneplatz-Synagoge stand, welche in der Reichsprogrom- nacht abbrannte? Im Rücken die jüdische Talmud-Tora-Schule, gut bewacht von bewaffneter Security?
Die Eröffnungsperformance involviert die Tourteilnehmer*innen von Anfang an, lässt sie den Begriff des Performativen spüren und lenkt zugleich durch einen Rückblick in die Vergangenheit zu politischen Fragen, die den Zuschauer, die Zuschauerin herausfordern. Somit wird er oder sie zum Mit-Performer, zur Mit-Performerin.
Postdramatische Rezeptionsmuster werden spürbar. Da jedes Guide-Team schon per definitionem anders sein muss, ist selbst das Publikum einer Tour getrennt, separiert in seiner Rezeption, einzig vereint mit zwei, drei anderen Tourteilneh- mer*innen. Aber immer getrennt aufgrund von subjektbezogener selektiver Rezeption.
Papierrollen als Laufsteg eines Spaliers. Aber möchte ich mich als Zuschauer*in formieren und auf eine Bahn lenken lassen? Möchte ich überhaupt eine interaktive Performerin sein?
Die Eröffnungsperformance der Guides des 9. Jahrganges (Bernd Ruffer mit der Coachin Katharina Oberlik) und der Performer *innen des 10. Jahrgangs der Stadtteilschule Bergedorf (Philipp Radau, Katja Tommek mit den Coachinnen Alina Gregor und Gesche Lundbeck) besticht durch verdichtete Bildersprache, atmosphärische Dichte, teilweise darstelle- rische Präsenz und Überzeugungskraft und die ungeplanten Zufallsmomente und -begegnungen, die einen Radfahrer pöbeln lassen: „Ach, darf man hier nicht laut sein?“ und eine alte Dame mit einem Einkaufsnetz inne halten lassen. Sie lä- chelt versonnen, als sie, das Nelly-Sachs-Gedicht im Rücken, den Zukunftsvorstellungen der Schüler*innen zuhört. An der Wand der Hochschule für Wirtschaft und Politik steht geschrieben und wird teilweise chorisch gesprochen, das Publikum kann mitmachen:
Wer von uns darf trösten?
In der Tiefe des Hohlwegs
Zwischen Gestern und Morgen Steht der Cherub
Mahlt mit seinen Flügeln die Blitze der Trauer Seine Hände aber halten die Felsen auseinander Von Gestern und Morgen
Wie die Ränder einer Wunde Die offenbleiben soll
Die noch nicht heilen darf.
Nicht einschlafen lassen die Blitze der Trauer Das Feld des Vergessens.
Wer von uns darf trösten?
(Nelly Sachs, Berlin 1947. In: Sachs, Nelly: Gedichte. F.a.M. 1977, S. 31f., Teil des Gedichts „Chor der Tröster“.)
Schwer kann sich der oder die Zuschauer*in entziehen, wenn im leeren „Brachlandbrunnen“ vor dem Eingang der erzie- hungswissenschaftlichen Fakultät Flugblätter der „Weißen Rose“ mit einem Megafon rezitiert werden oder im Audimax
von der Empore durch die Luft segeln, die Biographien der Mitglieder als Handzettel verteilt werden. Ich bekomme einen Steckbrief von Margaretha Rothe, einem aktiven Mitglied der Hamburger „Weißen Rose“. Wer kann sich da entziehen? Schließlich die bellenden Befehle an der Moorweidenstraße vor dem Mahnmal von Ulrich Rückriem, gerahmt von einer urbanen, vorbeieilenden Hochbahn, die keine Zeit für Rücksicht oder Innehalten hat. Auf dem Untergrund des Platzes der Jüdischen Deportierten raschelt das verkühlte Herbstlaub. Im Vordergrund des grauen Granitblocks ästhetisieren die Per- former*innen Befehle, Gehorsam, Ausbruch und Zusammenbruch bis hin zur Absurdität, Vergangenheit und Gegenwart verschmelzen. Wer kann sich da entziehen?
Elemente der Tagung
Neben dieser Eröffnungsperformance erstellten die Tagungsteilnehmer*innen eine Montage aus Text- und Bildflächen mit Alina Gregor. Sie erforschten performative Installationen zum sogenannten „Wir-Gefühl“ mit Objekt, Text, Körper und Gesche Lundbeck. In dem Workshop von Katharina Oberlik zu zeitgenössischer Performance testeten die Teilneh- mer*innen Herrschaftsformen. Andere brachten sich ins Spiel mit autobiographischen Übungen, Körper-Bewegungen und Lippenbekenntnissen zu den Themen Protest, Politik und Identität mit Uta Plate. Impulsgebend waren auch die Vorträge von Prof. Wolfgang Sting „Theater und Schule - ein produktives Wechselverhältnis?“ und Prof. Dorothea Hilliger „Per- formative Künste als politische Bildung?“, welche ohne Schnitt in die Performance von Studierenden des Musterstudien- ganges Performance Studies unter der Leitung von Uta Plate übergingen. Ausdrucksstarke, extrem verdichtete, an Agit- prop erinnernde, figurale und oder chorische Performances fordern den Zuschauer, die Zuschauerin als aktiven, partizipie- renden Rezipienten heraus. Ein Austausch mit anderen Teilnehmenden zeigt, wie sehr die eigene Wahrnehmung selektiv und subjektiv, konstruktivistisch ist. Eine Form des performativen Theaters ist somit zugleich ein Korrelat zu inhaltlichen, soziologischen, gesellschaftspolitischen, kulturwissenschaftlichen Phänomenen der Postmoderne.
Die Tischgespräche, von denen man zwei erleben durfte, boten folgende Themenauswahl:
1. Johannes Kup eröffnete gouvernementalitätskritische Perspektiven auf den Diskurs um Partizipation in der Theater- pädagogik.
2. Constanze Schmidt berichtete, wie Jugendliche ihre eigene Berufsorientierung zum Working Citizen performen.
3. Maike Gunsilius berichtete von Störungen und Allianzen in den Dramaturgien postmigrantischer jugendlicher Per- formances. Artikulationen von jugendlichen und erwachsenen Bürgerinnen und ihre Bedingungen im Kontext post- migrantischer Stadtgesellschaft wurden künstlerisch-wissenschaftlich untersucht.
Im Anschluss im Fundus-Theater erläuterte Sybille Peters Projektbeispiele, Berichte aus aktuellen Forschungspro- jekten, das Konzept des Fundus-Theaters in Hamburg erläuterte Sybille Peters (https://www.fundus-theater.de). Beson- ders interessant im Kontext der Tagung das Projekt „There´s No Business Like Showbusiness“, in dem Kinder selbst zu Kurator*innen und Produzent*innen werden. Sie erhalten am Anfang des Projektzyklus 3000 € für eine Produktion, über die sie verfügen können (https://www.fundus-theater.de/mediathek/, 20.1.2019). Mehr Partizipation und Verantwortungs- übergabe scheint kaum denkbar.
Am Ende der Tagung wurden die Teilnehmer*innen wieder zu Performer*innen: Das Spiel PLAYING UP besteht aus 36 Karten, die in sechs Kategorien unterteilt sind. Jede Kategorie steht für eine Dimension der Performancekunst. Die Kate- gorien sind: Sammeln & Erzählen, Körper & Sinne, Stadt & Land, Tiere & Dinge, Forschen & Basteln, Gefahr & Gefühl. Jede Karte beschäftigt sich mit einer Frage, erzählt von einer Aktion aus der Geschichte der Performancekunst und gibt eine Handlungsanweisung. So entsteht eine Gorilla-Spontandemo, eine Feuershow, eine Verfolgerperformance, die tee-
trinkend im nächtlichen Barber-Shop endet, eine Rücken-Mal-Performance, ein Katastrophen-Reenactment mit Material- vorschlägen. PLAYING UP ist eine für jedes Alter geeignete spielerische Einführung in die Performancekunst, die das Zusammenspiel von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen herausfordert (http://playingup.de).
Demokratiebildung
Die Gesamtheit der Elemente der Tagung führt zu folgenden Überlegungen:
Der Zusammenhang zwischen Theater und Politik wird bereits im Titel deutlich. Eine versteckte These im Titel: Perfor- matives Theater trägt zur Demokratiebildung bei. Zur Beantwortung der These müssen zunächst Bedeutungsdefinitio- nen und Begriffsabgrenzungen vorgenommen werden.
Vorausgesetzt seien ein postmoderner Performance-Begriff (s.o.) und ein erweiterter Begriff der Theatralität nach Nikolaj Evreinov als ästhetischer Grundinstinkt des Menschen. Demzufolge besitzt jeder Mensch die Gabe, seine Erlebniswelt so wahrzunehmen (Zusatz: und zu gestalten), dass sie seinen inneren Vorstellungen und Wunschbildern entspricht (vgl.http://www.theaterwissenschaft-ernst.uni-bayreuth_t.html, 20.1.2018, 15:52 Uhr). Politische Inhalte performativ umzusetzen und seine persönlich-politische Erlebniswelt ästhetisch zu gestalten liegen somit als zentrale Möglichkeiten des Schultheaters auf der Hand. Unter Berücksichtigung der Aristotelischen Be- stimmung des Menschen als zoon politikon, des Menschen als politisches und soziales Wesen, kann Theater in diesem Sinne gar nicht un-politisch sein. Das gilt auch für das Schultheater.
Nahe liegt zudem der Verweis auf die Verknüpfung der Begriffe Theater und Demokratie seit der griechischen Antike.
„Das Theater nahm besonders zur Zeit der attischen Demokratie eine wichtige Rolle ein: So waren alle Bürger, gleich welchen Standes, dazu (…) verpflichtet, es zu besuchen. Dort wurde (…) die Gesellschaft dargestellt. So ist es auch kein Zufall, dass sowohl in der Rhetorik als auch in der Poetik des Aristoteles das Publikum und seine Emotionen, das Pathos, ein wichtige Rolle einnehmen. (…) Hierbei sollen auch Emotionen seitens des Publikums geweckt werden; jedoch nur jene, die dem Sachverhalt dienlich sind und von alleine entstehen. Das Publikum soll nachvollziehen und mitdenken“ http://www.demokratie-goettingen.de/blog/das-theat..., 20.1.2019, 16:05 Uhr).
Ausgehend von diesen Begriffsbestimmungen der Performance und des Theaters, ist der Begriff der Demokratiebildung vielschichtig und problematisch. Im Fokus der Zentralen Arbeitstagung soll das „demokratische Potenzial von Theater und Performance“ stehen. Was aber ist ein „demokratisches Potenzial“? Adjektivisch verwendet, wird „demokratisch“ meist synonym mit „kooperativ“ und „partizipativ“ gesetzt (https://www.openthesaurus.de/synonyme/demokratisch, 20.1.2019, 16:16). Demokratisches Potenzial kann sich demnach im Kooperativen Lernen entfalten oder durch die Parti- zipation aller Beteiligten im Unterrichtsprozess, Entstehens- und Inszenierungsprozess. Zu denken ist hier beispielsweise an das partizipative Konzept von Maike Plath (https://www.maikeplath.de/konzept, 20.1.2019, 16:21 Uhr). Darüber hinaus ist ein demokratisches Verfahrensprinzip gemeint, das freiheitlich und nicht autoritär Mehrheitsentscheidungen fällt und Minderheitenschutz berücksichtigt.
Interessant war in diesem Kontext die Arbeitsweise der rund 40 Schüler*innen der Stadtteilschule Bergedorf mit drei Künstlerinnen und drei Lehrer*innen. Der Workshop bei Philipp Radau zeigt Einblicke in Probeprozesse, evaluiert wer- den kann an dieser Stelle auch die komplexe Kommunikation innerhalb der Gruppe. Wolfgang Sting fokussierte in seinem Vortrag den Aspekt der Zusammenarbeit zwischen schulischen und außerschulischen Systemen. So sollen Theater und Schule in einem produktiven Wechselverhältnis stehen. Wo lassen sich künstlerisch-ästhetische und pädagogisch-didaktische Perspektiven und Fragen aufeinander beziehen, produktiv verbinden – auch und gerade in den sich ergebenden Widersprüchlichkeiten? Diversität ist hier ein positives Zeichen, dichotomische Denkweisen, binäres Denken in Hierarchien und Kategorien als Deutungshoheit gilt es zu hinterfragen. Widerstand, Reibungsfläche, Irritation, Ungewissheit sind eine Chance.
Ein thematischer roter Faden der Tagung ist demnach die Problemfrage:
1. Inwiefern sind welche partizipativen Prozesse im Inszenierungsprozess zu welchem Zeitpunkt auf welche Art und Weise wünschenswert?
Aufschlussreich in diesem Kontext die Thesen von Johannes Kup, der von einem Partizipationsimperativ spricht und damit implizit von einem unreflektierten, stets positiv konnotierten Begriff der Partizipation ausgeht. In Anlehnung an Foucaults Machttypdifferenzierung (2008) sei Partizipation ein Machttyp, eine „Gouvernementalität“. Partizipation sei kritisch zu hinterfragen, da Selbststeuerungspotenziale zur Überforderung führen könnten. Sie werde in das Subjekt verlagert, sogenannte „Partizipationskompetenzen“ in curricularen Texten seien durchweg positiv konnotiert. Mit der Aktivierung der aktiven Teilnahme werde häufig auch Verantwortung an das partizipierende Subjekt übertragen. „Das Selbst, die Persönlichkeit, das sogenannte Authentische des partizipierenden Subjekts soll im Akt der Partizipation sichtbar wer- den. Anstatt um Teilhabe an etwas Öffentlichem, geht es heute immer mehr um Teilnahme mit etwas Eigenem.“ Eine Gefahr sei, dass die Ich-Zentrierung zur Selbstdarstellung verkomme. (Johannes Kup, Theater der Teilhabe, Zum Diskurs zur Partizipation in der zeitgenössischen Theaterpädagogik. Schibri-Verlag. Januar 2019).
Nehmen wir Wolfgang Stings Vorschlag auf und sehen wir nach Thomas Ziehe das Theater als „Inseln der Intensität im Meer der Routine.“ Die Intensität wird durch Irritationsmomente geschaffen, offene Fragen tauchen auf, die das Schüler- verhalten herausfordern und verändern. Eine intensive Lernerfahrung kann entstehen, vielfältiges Lernen, leiblich-körperliches, kooperatives, projektorientiertes Lernen. Der Theaterunterricht oder die Probe ist somit ein Möglichkeitsraum für intensive soziale und ästhetische Erfahrungen, so Sting. Leopold Klepacki nennt 2010 die „Kontingenzbewälti- gungsdisposition“ als Voraussetzung. Gemeint ist damit das Verfügenkönnen über die Bewältigung der prinzipiellen Offenheit von menschlichen Lebenserfahrungen.
Eine weitere Kernfrage der Tagung lautet:
2. Was verbirgt sich hinter der Forderung nach Demokratiebildung? Und wie kann man ihr gerecht werden?
Denkbar ist hier (A) die Bildung zu demokratischem Handeln, denkbar sind (B) Bildungsprozesse mit demokratischen Strukturen. Es ergibt sich die Frage, ob partizipative Strukturen demokratische Strukturen sind und somit der Forderung nach Demokratiebildung gerecht werden. Ist „Demokratie“ gleichzusetzen mit „Partizipation“? Welche Rolle spielen die Begriffe „freiheitlich“, „anti-autoritär“ und „kooperativ“ im Diskurs um die Demokratiebildung in theaterpädagogischen Bildungskontexten?
Nehmen wir an, formale und non-formale theaterpädagogische Bildungsprozesse legen die Grundlage für ein Engagement für Gemeinwesen und Demokratie. Formale Bildung (in Schule, Hochschule und Berufsausbildung), nonformale Bildung (etwa in der theaterpädagogischen Jugendarbeit oder der schulischen Theater-AG), informelle Bildung (etwa in der Familie oder der Gleichaltrigengruppe) stehen in einem komplexen Wechselwirkungsverhältnis zueinander und machen erst in ihrer Summe das aus, was die Einzelnen brauchen, um sozial, kulturell, politisch und ökonomisch teilhabefähig zu sein (vgl. Büchner & Krah, 2006), (http://lexikon.stangl.eu/4967/formale-bildung/, 20.1.2019, 18:19 Uhr). Theaterunterricht, AG-Arbeit, Spielclubs am Theater oder im Jugendclub haben demnach einen entscheidenden Bildungsauftrag.
Impulse der Arbeitstagung
Performance als Teil der Demokratiebildung in (außer)schulischen Bildungskontexten fördert die soziokulturelle Funkti- on von Theaterunterricht, individuelle, gesellschaftliche und interkulturelle Bezüge zur eigenen Lebenswelt werden im besonderen Maße ermöglicht. Der Schüler, die Schülerin als Performer*in erfährt sich als aktives Mitglied der Gesellschaft und erlebt Selbstwirksamkeit im performativen Handeln. Gerade angesichts der Krisenphänomene der Demokratie in Amerika und Europa ist Politik und Theater ein wesentlicher Bestandteil des Bildungsauftrags.
Partizipation als Teil der Demokratiebildung kann zu den drei Grundfähigkeiten der Allgemeinbildung nach Klafki füh- ren: Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Vorausgesetzt ist eine kritisch-reflektierte Partizipation, die den Partizipierenden als Subjekt in der Verantwortungsüberschreibung nicht überfordert. Demokratische Arbeitsweisen im Theater zu präferieren, meint nicht, dass jede*r zu jeder Zeit alles bestimmen darf. Wichtig ist in diesem Kontext die begleitende Reflexion der Arbeitsschritte und Zusammenarbeit aller Beteiligten des Ensembles bzw. Performance-Teams: Geregelt werden sollte, wer wann was aus welchen Gründen macht, darf, bestimmt oder gestaltet. Orientiert an Klafki, kann man festhalten, dass Theater und Politik drei Grundfähigkeiten der Demokratiebildung fördert: Selbstbestimmungsfähigkeit umfasst die eigenen und persönlichen Lebensbeziehungen und Sinndeutungen im zwischenmenschlichen, beruf- lichen, ethischen und religiösen Bereich. Die Mitbestimmungsfähigkeit: Jeder Einzelne soll die Fähigkeit erwerben, an gesellschaftlich-politischen Verhältnissen zu partizipieren und verantwortlich damit umzugehen. Die Solidaritätsfähigkeit: Der Anspruch auf Selbstbestimmung und Mitbestimmung ist nur dann zu rechtfertigen, wenn der Versuch unternommen wird, für die Rechte jener einzutreten, welche über diese Rechte nicht verfügen.
Erreicht werden kann dies durch „epochaltypische Schlüsselprobleme“ in theatralen Kontexten, z.B.: Frieden, Umwelt, Interkulturalität und Leben in der einen Welt, Technikfolgen, Demokratisierung, Verteilungsgerechtigkeit und gesellschaftlich produzierte Ungleichheit, Gleichberechtigung/Menschenrechte, personale Beziehungen und Glücksfähigkeit. Sie sind nicht vollständig und veränderbar.
Theaterunterricht muss vielseitig in allen Grunddimensionen menschlicher Interessen und Fähigkeiten stattfinden. Hierzu zählen unter anderem der lustvolle, verantwortliche Umgang mit dem Körper, kognitive Möglichkeiten, handwerklich-technische Möglichkeiten sowie ästhetische Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Urteilsfähigkeiten.
Im Unterricht des Darstellendes Spiels, in der Theater-AG, dem Spielclub oder im Gestalten-Unterricht werden Einstel- lungen und Fähigkeiten (Kompetenzen) erworben, die über einzelne Schlüsselprobleme und Interessen- sowie Fähigkeitsdimensionen hinausreichen. Kritikbereitschaft und -fähigkeit, einschließlich der Selbstkritik, Argumentationsbereitschaft und -fähigkeit, Empathie, die Fähigkeit, die Sichtweisen und Perspektiven anderer zu erfassen und adäquat auf diese ein- zugehen, und Denken in Zusammenhängen oder „vernetzendes Denken“. Somit fördert der Theaterunterricht Schlüssel- kompetenzen der Demokratiebildung in besonderer Art und Weise und sollte Angesichts der gesellschaftspolitischen Weltlage für alle Klassenstufen fest im Unterrichtskanon implementiert werden.
30.01.2019
Hier das Programmheft der ZAT 2018 als PDF zum Herunterladen.
Hier der ausführliche Bericht als PDF zum Herunterladen.

Für mehr Bilder wischen oder klicken!

Für mehr Bilder wischen oder klicken!

Für mehr Bilder wischen oder klicken!